Die SBB Re 4/4 II 11181 oder die Lok von Daniel Bourret
SBB Re 4/4 II 11181 in Bourret Livree in Rorschach 23.02.1984 (Foto W. Elmer)
VORBILD Das Jahr 1983 ging bei den SBB nicht gerade als ein Jahr der grossen Veränderungen in die Geschichte ein. Alles war ordentlich, einheitlich und wie es sich für einen vorzeige Staatsbetrieb eben gehört - grün. Es gab durchaus kleine Abweichungen vom grünen Einheitsbrei an den Fahrzeugen der Schweizer Staatsbahn, zum Beispiel die roten Pfeile vom Typ RAe 2/4 waren, wie ihr Name bereits erahnen lässt, rot und eben nicht grün. Auch die Re 4/4 Lokomotiven, die extra für die TEE Luxuszüge die zweifarbige Lackierung creme/bordaux erhielten, waren kein Anzeichen dafür, dass es bei den SBB zu einer Abkehr vom grünen Farbkleid kommen sollte. In keinster Art und Weise und ganz und gar nicht, würde aber eine Lok in blau, weiss, gelb, hellgrün und schwarz ins Farbschema der biederen Staatsbahnen passen. Also was ist geschehen, dass am 7. Juli 1983 im Zürcher Hauptbahnhof, auf Gleis 5, eine moderne Re 4/4 II Lokomotive, in eben genau diesen Farben ihr Rollout feiern durfte? Nun dafür muss man das Rad der Zeit etwas zurück drehen und die Location wechseln.
Wir wechseln nach Wettingen an die Limmat, im Kanton Aargau, in die "Alte Post", eine Kneipe in der Nähe von Baden. Dort sassen Daniel Bourret mit seinen Kollegen beim Bier, als Daniel Bourret danach war, eine völlig hirnrissige Wette einzugehen. Wer ist Daniel Bourret? Daniel Bourret war ein Künstler, der 1956 im Kanton Aargau in der Schweiz geboren wurde und sich, bedingt durch sein Vater, sehr rasch International bewegte unter anderem auch in Tokio. Später, dann wieder in der Schweiz, das Literatur Gymnasium in Zürich besuchte, dieses zwar nicht abschloss, sondern an die Kunstgewerbeschule wechselte und eine Lehre als Fotograf absolvierte. Nach seiner eigenen Einschätzung war er eher Musisch gebildet, trotzdem entschloss er sich, dem zweiten Bildungsweg noch die Wirtschaftsmatura zu absolvieren. Auf ein Studium verzichtete er jedoch, liess sich dafür in Florida auf eigene Kosten, zum Piloten ausbilden.
Danach war 2 1/2 Jahre als Werbeberater tätig, gründete er seine eigene Firma, eine Firma die kleine Feldspitäler in Container für Länder mit geringer Spitaldichte fertigte. In dieser Vita ist aber kaum ersichtlich, dass er während der Ausbildung zum Fotografen, lieber gezeichnet als fotografiert hatte. Seine künstlerische Ader hat er aber mehr als Hobby als Beruf ausgeübt und vor allem dann, wenn wieder einmal ende Geld, aber immer noch Monat war. Aus dieser künstlerischen Phase entstanden auch die grafische Gestaltung der Eingangsbereiche zum Gemeindehaus von Lupfig bei Brugg. Ein ganz anderes Werk von Bourret war, die Gestalltung eines Flugzeugs vom Typ Caravelle im Jahre 1978. Die Maschine stammt aus dem Bestand der Air France, die die Fluggesellschaft, zusammen mit 24 weiteren Maschinen ausmustern wollte und dafür Abnehmer suchte. DB entwarf kurzerhand auf einem Kuststoffmodell einen Vorschlag wie er eine dieser Maschinen als Denkmal der Nachwelt erhalten möchte. Die Airfrance konnte sich zwar nicht für die Idee als solchers begeistern, machte aber DB das Angebot, eine Maschine für den symbolischen Betrag von 1 Franc zu übernehmen, wenn er selber für die Überführung in die Schweiz aufkommen würde. Die Weiterfewendung der Maschine als Flugzeug wurde ihm untersagt. Die Überfürhungskosten beliefen sich auf knapp 30.000 CHF, was etwas viel war, durch eine Zufall erfuhr aber DB, dass das Amt für Luftverkehr des Kanton Zürich und der Flughafen Zürich für die eigene Feuerwehr, an einem Übungsobjekt zur Antiterrrorbekämpfung und für Notfallübungen interessiert war. Bourret konnte sich mit den zuständigen Stellen einigen. Es wurde vereinbart, dass die zukünftigen Besitzers die Kosten für die Überführung übernehmen und im Gegenzug, das Flugzeug erhalten. Vor dem Einsatz als Übungsobjekt, sollte die Maschine nach den Vorstellungen des Künstler Bourret gestaltet werden. Das Ergebnis befriedigte den Kühnster dann zwar nicht ganz, die Maschine wurde später, bei einer Grossübung durch einen Vollbrand, aber ohnehin zerstört.
SBB Re 4/4 II 11181 mit einem Schnellzug Chur - St. Gallen in Rorschach (Foto W. Elmer)
Anlässlich dieses Feierabendbiers in der "Alten Post" kam Daniel Bourret die Idee, eine dieser "traurig grünen" SBB Lokomotiven zu neuem Glanz zu verhelfen. Er wollte die SBB überzeugen, ihm eine Lokomotive für seine künstlerischen Ideen zu überlassen. Seine Kollegen meinten, dass sei unmöglich! Bourret schloss darauf eine Wette über zwei Harasse Bier ab, dass er seine Idee in die Tat umsetzen werde. Umgehend kontaktierte Bourret die SBB Generaldirektion und erklärte sein Vorhaben er legte auch Bilder seiner Caravelle bei. Die Antwort aus dem Hause SBB liess auf sich warten und als sich dann jemand von den SBB meldetet, war es der Chef der Abteilung Hochbau, heute wohl Liegenschaftenverwaltung. Sein Vorschlag war, dass er sich für diese Idee, bei der richtigen Stelle einsetzen wolle. Der Erfolg war dann bescheiden, die SBB wollte Bourret für sein Vorhaben lediglich einen Güterwagen zur Verfügung stellen. Was für DB keine Option war. Ein zweiter Versuch, ein paar Monate später, der damalige Generaldirektor war Hans Eisenring, der vor seinem Mandat bei den SBB, Direktor bei der Flug- und Fahrzeugfabrik Altenrhein FFA war und auch die Caravelle von Bourret kannte, war bereit, Bourret eine Re 4/4 II zur Verfügung zu stellen. Dass es sich dabei um die Re 4/4 II 11181 handelte war reiner Zufall, wohl war derer Frist bald abgelaufen und in einer R0 hätte sie komplett saniert, mit den neuen eckigen Schweinferfer ausgerüstet werden und in der neuen roten Lackierung wieder auf die Schienen gestellt werden sollen.
So konnte also mit dem Werk begonnen werden und die SBB stellte Daniel Bourret sogar Personal zur Unterstützung zur Verfügung. In der Grundreinigungsanlage im Vorbahnhof des Zürcher Hauptbahnhof, vis-à-vis der Hauptwerkstätte wurde die Lok vorbereitet. Fenster und Anschriften wurden abgedeckt und die SBB stellte sogar eine Spritzanalge zur Verfügung. Die Lok wurde vom alten Anstrich gar nicht befreit, sondern es wurde gleich über das alte "SBB grün" neu Grundiert. Als Bourret mit dem künstlerischen Teil beginnen wollte, besann man sich bei den SBB nochmals und bemerkte, dass gar niemand wusste, was dieser Bourret überhaupt im Schilde führte. Es wurden umgehende Skizzen und Entwürfe vom Künstler verlangt. Daniel Bourret brach seine Arbeit wieder ab und liess die Lok, im grundierten Zustand, einfach stehen. Ein klärendes Gespräch und das Versprechen, dass auf der fertigen Lok keine anstössigen Bilder oder religiöse Zeichen zu sehen sein würden, sondern etwas Abstraktes und buntes, liess man Bourret unter strenger Aufsicht gewähren. Ein Beamter habe täglich in der Nachtpause, mit Schreibstift und Block bewaffnet, Notizen über den Stand der Arbeiten gemacht und diese umgehend zur Kreisdirektion rapportiert.
Am 23.02.1984 trifft die SBB 11181 die ÖBB 1044.75 - eine ganz seltene Begegnung eingefangen von W. Elmer
Für die "groben" Arbeiten wurde mit der Grossspritzpistole gearbeitet, für kleine und feine Details mit Spraydose, Schablonen und Abdeckfolie. Peinlich genau wurde darauf geachtet, dass keine Chromstahl Ziffern und Zahlen übermalt wurden. Die Dienstanschriften wurden nachträglich vom SBB Personal der Hauptwerkstätte Zürich wieder angebracht. Die Farben und alle Hilfsmittel finanzierte Bourret aus der eigenen Tasche. Die Lackierung erfolgte nicht nach einer Vorlage sondern intuitiv. War ein Strich oder ein Zeichen erst einmal auf der Lok, blieb das auch so. Es gab keine nachträglichen Korrekturen. Die Lok wurde am 7. Juli 1983 dem Publikum als "rollende Leinwand" präsentiert und blieb bis im Dezember 1984 in Betrieb. Länger als ursprünglich geplant. Unterschiedlich waren die Reaktionen auf die Lok, glaubten doch einige an einen Aprilscherz, eines war der Lok aber sicher. Sie war wohl die meistbeachtete Re 4/4 aller Zeiten. Im Volksmund wurde sie als "Picassolok", "Poplok" oder einfach Bourret (Burree) Re 4/4 bezeichnet.
Kiss SBB Re 4/4 II 11181 in Spur 1
MODELL Die Lok war aber nicht nur beim Vorbild eine exotische Erscheinung. In fast alle Spuren, von N-1 wurde die Lok angeboten. Meistens als "Special Edition" zum Teil sogar limitiert, also nicht einfach nur einmal aufgelegt, sondern auch noch nur in einer bestimmten Stückzahl. Eine der schönsten Umsetzungen ins Modell erschien 1991 von HAG auf Basis der Re 4/4 II Newserie, mit dem neuen Lokkasten in H0. Die acht Grundfarben von Hand gespritzt und die Ornamente in mehreren Durchgängen mit Tampondruck realisiert. Um einiges günstiger waren die Modelle von Jouef, die wie später die ROCO Re 4/4 II in Digitaldruck erschienen. Auch für die Spur N Bahner war ein Modell von Arnold erhältlich. In den grossen Spuren 0 und 1 realiesierte LEMACO die Bourret Re 4/4 und erst kürzlich lieferte Kiss in der 2. Serie Re 4/4 II in der Königsspur, die Bourret in einer limitierte Serie von 25 Stück aus.
Die "blaue" Seite der Kiss SBB Re 4/4 II 11181 in Spur 1
Alle Modelle haben eines gemeinsam, kein Modell entspricht bis ins letzte Detail genau dem Vorbild. Der Grund dafür ist lapidar. Es gab keine Aufzeichnungen vom Urheber! Jeder Hersteller musste seine eigenen Unterlagen für die Lackierdateien selber neu anfertigen. Nicht einmal von LEMACO waren Lackierdateien in elektronischer Form (pdf) vorhanden. Die meisten Hersteller liessen sich vom HAG HO Modell im Massstab 1:87 inspirieren, weil dieses Modellumsetzungen am authentischen erschien. Jedoch musste auch HAG damals, die Unterlagen für ihr Modell, akribisch aus den vorhandenen Fotos erarbeiten das Vorbild war seit mehreren Jahren schon in rot unterwegs. Ein nicht ganz unerhebliches unterfangen, sind es doch weit mehr als einhundert verschiedene Einzelsymbole und Formen, die nachgezeichnet und gemäss Augenmass, möglichst richtigen Ort auf dem Modell, platziert werden mussten.
Somit war der Chalange für die Hersteller eigentlich nicht, die genaue Nachbildung zu bekommen, sonder die MÖGLICHST genau Nachbildung. Wer also darauf besteht, nur Modelle absolut nach Vorbild zu besitzen, würde an einer Bourret Re 4/4 keine grosse Freude haben, da alle Modelle immer nur eine ungefähre Nachbildung sind. Interessant war, dass sich die Kunden ihre Lok meistens mit silbernem Dach wünschten. Etwas dass es beim Vorbild gar nie gegeben hat. Offenbar ist man der Meinung, dass eine "Bourret" nur mit silbernem Dach genügend "Besonders" sei, als mit einem grauen Dach, das eigentlich dem Vorbild entsprechen würde.
Kiss SBB Re 4/4 II 11181 in Spur 1 mit einem KMS EW IV als IC 507 Genf - Romanshorn auf dem Diorama beim Schloss Grandson VD