MLGB MGB HGe 4/4 II 106
Das Märklin LGB Modell der MGB HGe 4/4 II präsentiert sich massstäblich und fein detailliert
Die «Mission» für Modelleisenbahnhersteller, neue Fahrzeuge für das Thema Rhätische Bahn zu produzieren, stösst allmählich an ihre Grenzen. Beim Vorbild werden längst nicht in dem gleichen Takt neue Fahrzeuge in Betrieb genommen, wie sie in der Modellbahnindustrie gefertigt werden. Was liegt also für einen Hersteller näher, als sich ein breiter gefächertes Betätigungsfeld zu suchen? Die ehemalige Furka-Oberalp-Bahn (FO) heute Matterhorn-Gotthard-Bahn MGB, ein guter Nachbar der RhB, bietet sich dafür schon fast automatisch an, die Wagen werden zwischen den Bahnen seit jeher beinahe routinemässig netzübergreifend eingesetzt. Die Lokomotiven sind etwas weniger flexibel einsetzbar, die MGB einige Abschnitte mit Zahnstangen aufweist und deren Stromabnehmerschleifstücke weniger Breit als bei der RhB sind. Im Bahnhof Disentis geben sich die beiden Bahnen fahrplanmässig aber mehrmals täglich fast und stündlich die Hand. Warum als Modelleisenbahnhersteller nicht langsam, aber sicher auch Modelle der FO/MGB anbieten?
Anfang des Jahres 2024 präsentierte MLGB, nicht ganz unerwartet, die Neuheit RhB HGe 4/4 II für die Spur G. Ein Modell, das schon lange auf der Wunschliste der Gartenbahner stand. Mitte Sommer 2024 wurde das Modell bereits ausgeliefert. Versprochen wurde eine Neukonstruktion mit einem neuen Antriebskonzept für das hauseigene Zahnstangensystem.
Das in diesem Bericht gezeigte Modell wurde bereits einem minimalen Tuning unterzogen - der erwähnte Bügel am Pantogelenk ist bereits entfernt
Auf den ersten Blick lässt das neue Modell der RhB HGe 4/4 II 106 mit dem Namen St. Gotthard von Märklin LGB erkennen, dass viel Engagement in die Realisierung des Modells gesteckt wurde. Eine kleine Anmerkung der Redaktion: Ab sofort wird das Modell in diesem Bericht korrekt als MGB HGe 4/4 II bezeichnet und nicht mehr als RhB HGe 4/4 II, wie es in der Betriebsanleitung des Modells von Märklin deklariert wurde – so ein Fehler kann schon mal passieren, sollte aber nicht, daher drücken wir ein Auge zu.
Titelseite LGB Betriebsanleitung für die RhB Elektrolok HGe 4/4 II...
Dass auf der Betriebsanleitung von LGB „Modell der RhB Elektrolok HGe 4/4 II 23101“ steht und nicht „Modell der MGB HGe 4/4 II“, ist eher belustigend. Aber wer kennt sich denn schon so genau mit den Bezeichnungen von Schweizer Lokomotiven – und dann noch Schmalspur und Zahnrad und elektrisch – aus? Von HGe44 (Hgvierundvierzig) über HGe vierviertel bis hin zu HGe vier Strich vier war schon alles dabei. Korrekt ist H (ha) G (Ge) e (e) vier – vier – 2 oder h g e vier vier zwei – alles klar?
Die Stromabnehmer sind nicht brüniert, sondern in Chromstahl belassen, und die Detaillierung des Dachs ist gelungen. Besonders fein sind die Verschlüsse der Lüftergitter mit den Filtermatten an der Dachkante ausgeführt. Die Isolatoren und Hochspannungsleitungen sind authentisch. Last but not least, sind die Scheiben gehäusebündig eingesetzt. Beim der konzerneigenen Schwestermodell der RhB Ge 4/4 II wurden bündig eingesetzte Frontscheiben erst nach der x-ten Neuauflage realisiert und das auch nur halbherzig. Die Stromabnehmer sind mit dem Standardantrieb von LGB ausgestattet und weisen nach wie vor den unerklärlichen Bügel am Gelenk auf – aber diesen kann man einfach entfernen.
Das Modell der MLGB HGe 4/4 II macht optisch einen vorbildlichen Eindruck. Die Qualität erfüllt die hohen Erwartungen an ein Modell von LGB mehr als genug. Die Lackierung mit den Farbtrennkanten sowie die Beschriftung vom technischen Block bis hin zum 75-Jahre-GEX Jubiläumslogo, sind lupenrein. Das Modell weist vorbildgerecht den Doppelnamen St. Gotthard/S. Gottardo auf.
Der technisch anspruchsvolle Zahnradantrieb erfüllt seine Aufgabe hervorragend und verleiht dem Modell genug Zugkraft, um einen sechswagen Zug auf einer Steigung von 110 ‰ zu befördern. Trotz des grossen Achsstandes in den Drehgestellen meistert das Modell den Radius R1 mit 60 cm. Hier sei jedoch erwähnt: Wer so ein Modell auf dem Radius R1 einsetzt, ist irgendwie falsch abgebogen. Im Zahnradbetrieb sollte ein Mindestradius von R3 oder besser grösser gewählt werden und die Steigung von 110 ‰ sollte nicht überschritten werden. Dies entspricht der vorbildlichen Steigung am Nätschen von Andermatt nach Oberalppasshöhe. Auf grosszügige Übergangsradien aus der Ebene ins Gefälle muss geachtet werden – hier gilt: je größer, desto besser. Als Richtwert kann man von ca. 10 m ausgehen. Auf dem 181 ‰-Gefälle der Schöllenenbahn von Andermatt nach Göschenen sind die HGe 4/4 II beim Vorbild nicht zugelassen.
Das Problem bei Zahnstangenbetrieb ist, dass die Durchmesser der Antriebsräder grösser sein müssen als der Kopfkreis des Zahnrades. Nur so kann die Zahnstange in Weichen überfahren werden ohne dass sie mit aufwändigen Massnahmen weggeklappt werden müsste. Das bedeutet jedoch, dass die effektive Umfangsgeschwindigkeit der Antriebsräder höher ist als die des Zahnstangenzahnrades. Wenn das Zahnstangenzahnrad fest auf der Radsatzwelle des Antriebsrades montiert ist, würden Antriebsrad und Zahnstangenzahnrad mit derselben Drehzahl drehen. Aufgrund des Durchmesserunterschieds zwischen dem Antriebsrad und dem Wälzkreis des Zahnstangenzahnrades entsteht jedoch ein Geschwindigkeitsunterschied. Im Zahnstangenbetrieb haben die Antriebsräder eine etwas höhere Umfangsgeschwindigkeit, als sie eigentlich benötigen, was dazu führt, dass sie durchdrehen – dies wird als Schlupf bezeichnet und führt zu einem Leistungsverlust. Die gesamte Antriebsleistung muss über die Zahnstangenzahnräder aufgebracht werden, während die normalen Antriebsräder zusätzlich noch Leistung verbrauchen. LGB hat ein Getriebe entwickelt, das wie beim Vorbild, die Antriebsräder und das Zahnstangenzahnrad separat antreibt, sodass beide mit der korrekten Drehzahl laufen. Das Zahnstangenzahnrad dreht sich dabei etwas schneller um den kleineren Durchmesser auszugleichen. Dadurch wird der Schlupf eliminiert und es geht keine Leistung verloren. Auf der Zahnradstrecke wird nun, absolut vorbildgetreu, ein Teil der Leistung über die Antriebsräder übertragen und ein Teil über den Zahnstangenantrieb auf die Zahnstange. Dadurch fährt die Lok absolut ruckfrei und hat eine sehr hohe Zugkraft während die Zahnstange weniger belastet wird. Entgegen dem Vorbild weist der Zahnradantrieb nur ein Zahnrad pro Drehgestell auf. Das Vorbild hat auf jeder Achse eines. Der Vorteil liegt darin, dass das Modell beim Einlaufen in den Zahnstangenabschnitt nicht ins holpern gerät, weil das zweite Zahnrad nicht exakt gleich einläuft. Beim Vorbild wurde dies mit einer Kupplung gelöst – beim Modell wurde einfach auf das zweite Zahnrad verzichtet. Der Antrieb der MLGB HGe 4/4 II ist sehr aufwändig, aber das Resultat kann sich sehen lassen: Das Modell hat eine grosse Zugkraft und ruckelt auch bei Talfahrt nicht.
Schöne Dacharmaturen zeichnen das Modell aus - wenn der Hauptschalter noch lackiert wird, nahezu perfekt
Auch die Chassisanbauten mit Trafo, Druckluftbehälter und statischem Batterieladegerät sowie die Dämpfer und Federpakete an den Drehgestellen sind sehr schön ausgeführt. Diese kaschieren die serienmässigen Schleifkontakte die für eine bessere Stromabnahme montiert werden. Da das Modell keine Haftreifen hat, sind die Schleifer nicht zwingend notwendig. Wer seine Räder und Schienen regelmässig pflegt und sauber hält, wird auch ohne Schleifer keine Kontaktprobleme haben. Angetrieben wird das Modell von zwei längsliegenden Bühlermotoren. Für die Schaltung der Funktionen ist ein Multi-Protokoll-mfx-Decoder verantwortlich. Leider hat der Sound des Modells mit dem Vorbild der HGe 4/4 II keine Ähnlichkeit. Die typischen Geräusche der Fahrmotorventilatoren in den verschiedenen Geschwindigkeitsbereichen wurden nicht realisiert. Der Sound gibt eine beliebige Elektrolokomotive wieder die wohl regelmässig in Göppingen vorbeifährt und bei LGB allgemein Verwendung findet. Nach wie vor gilt: Ein guter Sound kann ein schlechtes Modell nicht retten, aber ein schlechter Sound auf einem sehr guten Modell ist nachlässig.
Schöne Drehgestellblenden mit vielen Details - die Schleifer können - saubere Schienen und Räder vorausgesetzt - problemlos entfernt werden
Nicht nur äusserlich wurde dem Modell bezüglich Detaillierung ein hohes Mass an Aufmerksamkeit geschenkt, auch der Gestaltung des Führerstands wurde viel Aufmerksamkeit gewidmet. Der durchgestaltete Führertisch ist mit farblich untermaltem Funkgerät und Anzeigen wie Druckluftmanometer und Geschwindigkeitsmesser ausgestattet. Auch ein Vakuumbremsschieber wurde nicht unterschlagen. Der Lokführer trägt zwar nicht die korrekten Dienstkleider der Matterhorn Gotthard Bahn und immer noch die Schirmmütze gegen Blendung durch Sonnenstrahlen auf dem Oberalp – aber das lassen wir ihm durchgehen.
Das Modell der MGB HGe 4/4 II ist sehr gelungen. Der Preis von knapp 1500 € ist absolut gerechtfertigt und man bekommt dafür ein Modell mit hoher Wertigkeit. Das Modell ist in der Lage die gestellten Anforderungen in vollem Umfang zu erfüllen. Man muss sich jedoch die Frage stellen und LGB sollte sich diese gefallen lassen: "Warum nicht immer so?" Die HGe 4/4 II hat ein grosses Potenzial an Farbvarianten. So wäre auch die SBB Brünigbahn-Version oder die spätere Zentralbahn-Version eine Sonderserie wert. Selbstverständlich wären auch die ehemaligen Furka-Oberalp-Bahn-HGe 4/4 II mit der alten Beschriftung oder Sonderserien wie die Werbelok für den Autoverlad Furka oder die Sion 2006 bis zu BVZ-Versionen mit den schönen Namen und dem Matterhorn im Logo möglich um noch über Jahre Neuheiten zu realisieren. Wenn MLGB vielleicht einmal Wert auf einen originalgetreuen Sound legt, müsste man dann jedoch beachten, dass die Refit-HGe 4/4 II nicht mehr thyristorgesteuerte Motoren hat, sondern mit einem Umrichterantrieb ausgestattet wurde. Der Sound unterscheidet sich massgeblich.
Die MLGB HGe 4/4 II 106 unterwegs mit dem Zug der Züge, dem Glacier Express Excellence Class bei Rueras
Technische Daten
|
Vorbild |
Modell |
Achsanordnung |
Bo'Bo |
Bo'Bo |
Länge über Puffer |
14776 mm |
650 mm |
Drehgestellachstand |
2980 mm |
132 mm |
Kastenbreite |
2883 |
120 |
Fahrleitungsspannung |
11 kV AC |
18-22 V DCC |
Gewicht |
64 t |
6`173g |
Anzahl Fahrmotoren |
4 |
2 |
Dauerleistung |
1875 kW |
5A / 110W |
Stundenleistung |
1932 kw |
|
Höchstgeschwindigkeit |
90 Km/h |
1,3 m/s ≙ xx km/h |
Baujahr |
1972 |
2024 |
Hersteller |
SIG/BBC/Sechéron |
Märklin LGB |
Fazit
Die MLGB HGe 4/4 II ist vom Spurkranz bis zum Pantoschleifstück fast ein Volltreffer - und es stellt sich wirklich nur die Frage: "Warum nicht immer so?" Die Detaillierung des Modells hochstehend. Die Fahreigenschaften vom Feinsten. Die Zugkraft sowohl auf Adhäsion wie auch in derZahnstange mehr als ausreichend. Alles in allem - so wie man es sich von LGB Wünscht. Der Führerstand gestaltet wie ein Führerstand und für ein Tuning noch etwas Luft. Kleine Abstriche sind der Zusatzspoiler an den Pantogelenken und der Fliegenklatschenantrieb ebendieser. Im selben Konzern werden Spur 1 Modelle gefertigt, deren Stromabnehmer sich geschmeidig motorisch heben und senken – in der Spur 2m geht man offenbar davon aus, dass es in einem Garten viele Insekten hat, vor denen sich ein Modell aktiv Schützen muss, daher sollen sich die Panthos eben zackig und schnell bewegen um diese zu vertreiben. Das aufgespielte Soundfile hat nichts mit einer HGe 4/4 II zu tun. Das Typische hochfahren und auslaufen der Ventilatoren wurde komplett vernachlässigt. Der Tausch des mfx Decoders gegen einen ESU oder ZIMO wird die Freude am Modell nochmals beträchtlich steigern.
Das Modell kann durch einfaches Tuning noch an Detailtreue gewinnen, was und wie gemacht wurde wird in Kürze, in einem anderen Bericht, auf diesem Portal detailliert beschrieben.