Ein Weltrekord der Superlative

 

Als die Zugspitze mit dem Triebzug 3111 den Toua-Kehrtunnel verlässt, befindet sich ein Grossteil des Zuges noch immer auf dem Albulaviadukt III und in der Malieragallerie der Zugschluss sogar noch immer im Zuondratunnel. Bild Rechte: RhB/swiss-image

 

Nicht mehr ganz aktuell aber nicht minder beeindruckend, hat sich die RhB Ende Oktober 2022  - mit dem längsten Zug auf schmaler Spur - in das  Guinness Buch der Rekorde gefahren.

Mit 25 zusammengekuppelten ABe 4/16 Zügen vom Typ Capricorn wurde auf der RhB Linie Preda – Alvanue Geschichte geschrieben. Wer kennt sie nicht – die schönste Bahnlinie der Welt? Ob zu Fuss, mit dem Fahrrad, im Winter per Schlitten und natürlich im Zug, die kühne Streckenführung der Albulabahn. Gestreckte Linie knapp 6km – 500 m Höhendifferenz, 22 Tunnles und 48 Brücken. 

Die RhB, bereits seit langem Trägerin der Auszeichnung UNESCO Weltkulturerbe, fuhr mit dem längsten, je gebildeten Personenzug, dazu auf 1000 mm Spurweite - einen Weltrekord. Die Capricorn Züge sind die zurzeit neusten und modernsten Fahrzeuge im Bestand der Rhätischen Bahn. Seit 2019 nimmt die RhB, zusammen mit der Industrie,  monatlich einen neuen Zug in Betrieb. Zum Schluss wird die RhB über eine Flotte von total 56 Einheiten verfügen. Der Weltrekordzug bestand aus 25 Einheiten bot rund 8600 Sitzplätze und wurde von 35`000 PS angetrieben und hatte eine Länge von über 1900 m. 

Die Idee, diesen Weltrekord zu realisieren, entstand während der Corona-Pandemie und reifte rasch zum fertigen Projekt. Als Zeitpunkt für diesen Event wählte man bewusst das Jahr 2022 - in diesem Jahr feiern die Schweizer Bahnen ihr 175 jähriges Jubiläum - dazu wollte die RhB eine Pioniertat leisten. Die budgetierten Kosten für das Projekt beliefen sich auf 1 Mio CHF, der Betrag wurde durch Sponsoren und Partner der RhB aufgebracht. Auch die Firma Märklin leistete einen grossen Beitrag an das gelingen dieses Vorhabens. 

Für die Umsetzung konnte auch der Hersteller der Züge, die Firma Stadler Rail begeistert werden, denn auch wenn es sich bei den Zügen um normale Kompositionen aus dem Betriebsaltag handelte, musste an den Zügen gewissen Modifikationen vorgenommen werden. Die Züge erhielte zum Beispiel, nur für die Dauer der Weltrekordfahrt, eine geänderte Software, da im Normalbetrieb nur 4 Züge in Mehrfachtraktion von einem Lokführer gestreut werden können. Um 25 Züge im Verbund fahren zu können, wurde der Zug in sieben Teilzüge gesplittet und je von einem Lokführer gesteuert. 

Die Bremsleitung ist von der Zugspitze bis zum Zugschluss durchgebunden – die elektrischen Komponenten waren in jedem Zugteil autonom und werden von einem separaten Lokführer bedient. Es musste auch eine Möglichkeit für die sichere Kommunikation zwischen dem Masterlokführer (an der Zugspitze) und den Slavelokführern gefunden werden. Denn weder im Albulatunnel noch in den meisten Spiraltunnels auf der Stecke, war keine verlässliche Mobilfunkabdeckung vorhanden. Man verlegte deshalb eine old Style Kabelleitung aussen am ganzen Zug entlang, mit je einer Sprechstelle aus einem Armeefeldtelefon in jeden besetzen Führerstand. Bereits vor dem Tag X wurden in nächtlichen Betriebspausen mehrere Versuche auf der Linie Samedan – Scuol im Unterengadin durchgeführt. Dabei wurde getestet, ob es überhaupt möglich ist, so ein Vorhaben erfolgreich durchführen zu können. Denn nur weil die Komposition technisch in der Lage wären sich zu bewegen – musste auch sichergestellt sein – dass die Infrastruktur im Allgemeinen und vor allem die Stromversorgung im Besonderen - in der Lage ist, den Bedarf an elektrischer Energie zu liefern und auch wieder die vom Zug gelieferte Energie abzuführen.

Der ganze Zug in der Hochebene von Preda kurz nach der Abfahrt - Bild Rechte: RhB/swiss-image

Um 14.33 Uhr, geplant war 14.00 Uhr aber wer will schon kleinlich sein, setze Lokführer Andreas Kramer den ausserordentlichen Zug im 1`789 müM gelegenen Albulatunnel in Bewegung. Dabei musste er lediglich die Stillhaltebreme  lösen und der Zug begann auf dem Gefälle von selber zu rollen. Sobald der Zug seine «Reisegeschwindigkeit» von 30 km/h erreicht hat, erteilt der Projektleiter (nicht der Masterlokführer) via Intercom (Armeetelefonleitung) den Slavelokführern den Befehl die elektrische Bremskraft genau auf 20 % einzuregeln. Damit bremst nun jeder Zugteil sein Gewicht auf der Talfahrt elektrisch ab und rekuperiert dabei die Bremsenergie zurück ins Fahrleitungsnetz. Auch wenn die erlaubte Streckengeschwindigkeit von Preda bis Alvaneu normalerweise bis 50 km/h beträgt war für den Weltrekordzug vorgesehen nur mit einer reduzierten Geschwindigkeit von 25 km - 30 km/h zu fahren. Damit konnte sichergestellt werden, dass beim Einsatz der E-Bremse die rekuperierte Energie (Bahnstrom mit 16 2/3 Hz) nicht zu gross wird und in 1. Priorität vom Netz für den Betrieb der anderen fahrplanmässigen Züge zur Verfügung stand und in 2. Priorität eine allfällige Überproduktion via Umformerwerke (zum Beispiel das von Bever) dem Ortsnetz (mit 50 Hz) zugeführt werden kann. Während der knapp einstündigen Fahrt rekuperiert der Zug eine Energie von rund 4`000 kWh dies entspricht einem Jahresverbrauch eines Dreipersonen Haushalts.  

Würde die rekuperierte Energie des ganzen Zuges den erlaubten Grenzwert überschreiten, käme es im Unterwerk zu einer Schutzabschaltung was unbedingt zu vermeiden war. Weiter war dem genauen einhalten der vorgeschriebenen Bremskraft in den einzelnen Zugteilen grösste Aufmerksamkeit zu widmen. Wäre es zu grossen Differenzen in den Bremskräften in den einzelnen Zugteilen gekommen wäre der erlaubte Grenzwert der Kupplungsbelastung überschritten worden dies hätte zu Schäden an der Kupplung führern können. Um eine eventuelle Überbelastung der Kupplung detektieren zu können, war jede Kupplungsstelle mit einer Kamera überwacht. 

Während der Weltrekordfahrt war die Albulastrecke von Tiefencastel bis Bever für den gesamten Eisenbahnverkehr komplett gesperrt. Auch die Albulapassstrasse, die teilweise parallel zur Bahn verläuft wurde für den Individualverkehr von 0800 – 2200 gesperrt. Reisende von und ins Engadin wurden über das Prättigau und die Vereinalinie umgeleitet und nach Filisur bestand die Möglichkeit via Davos - Landwassertal zu reisen. Ein Bahnersatz mit Bussen nach St. Moritz bestand über den Julierpass.

Eine Herkulessaufgabe auch für die Fahrzeugdisposition war es, die benötigten Fahrzeuge für diesen Event - just in time - aus dem laufenden Betrieb zu nehmen, ins Albulatal zu bringen und nach dem Event - wieder von Alvaneu zurück in den laufenden Betrieb zu überführen. Die Lokdienste, die immer vor einer Fahrplanperiode in minutiöser Detailarbeit ausgearbeitet werden und für jedes Triebfahrzeug den fahrplanmässigen Einsatzzeiten, die Unterhaltsfenster sowie Reservezeiten festlegt wurden für diesen Anlass völlig auf den Kopf gestellt. Kaum ein Lokdienst wurde an diesem Tag wie geplant gefahren. Auch das RhB Personal trug einen grossen Anteil zum gelingen dieses Vorhabens bei. Dass direkt involviertes Personal oder die Notfallfahrleitungsdienstgruppe wohl noch relativ einfach für diese Aufgabe zu motivieren waren, liegt auf der Hand. Jedoch gab es trotz Megaevent auf der RhB auch noch ein, wenn auch sehr beschränktes, Tagesgeschäft zu erledigen. Und bei einem notorischen Unterbestand von Lokführen, muss man all denjenigen speziell dankbar sein, die auch ohne Aussicht auf Ruhm und Ehre bereit waren, zum Teil an ihren regulären Freitagen, eine Zusatzschicht zu leisten. 

 Lokdienst Änderungen sind rot eingetragen

Nachdem der Zug den Albulatunnel mit dem letzten Fahrzeug und die Zugspitze schon lange die Hochebene von Preda durch den Zuondra Kerhtunnel verlassen hatte, konnte man aus der Luft den Zug fast in seiner vollen Länge sehen und man musste einfach sagen – Wahnsinn. 

Als die Zugspitze mit dem Triebzug 3111 den Toua-Kehrtunnel verlässt, befindet sich ein Grossteil des Zuges noch immer auf dem Albulaviadukt III in der Malieragallerie und der Zugschluss noch immer im Zuondratunnel. Nach dem Rugnuxkehrtunnel wechselt der Zug erneut die Talseite und kommt bei der Dienststation Muot in einen etwas weniger Kurvenreichen Streckenabschnitt ohne Kunstbauten dafür im wunderbaren farbenfrohen Herbstwald bevor er dann via die Kehren Platztunnel und Godtunnel und dem Val Tuorsviadukt nach Bergün absteigt. In Bergün macht der Zug einen kurzen Halt wo einige VIP Gäste den Zug verlassen und andere Zusteigen. Danach geht es an der nördlichen Hochtalflanke via Dienststation Stugl/Stuls weiter zum Greifensteintunnel – dem letzten Kehrtunnel unter der gleichnamigen Burg – Richtung Filisur. Nach einem kurzen Diensthalt in Filisur, es stiegen die Lokführer zu, die später dann in Alvaneu, die wieder getrennten Teilzüge, zu ihren Bestimmungspunkten führen werden – ging es auf den lange erhofften, absoluten Höhepunkt zu.

 

Der Rekord ist vollbracht - der Zug befindet sich bereits kurz vor Alvaneu - Bild Rechte: RhB/swiss-image

Nach dem 216 m langen Landwassertunnel betritt der längste Personenzug der Welt - am 29.10.2022 um 15.34 Uhr die Unescoweltkulturerben «Bühne» – den 65m hohen und in einer Kurve mit nur 100 m Radius gelegenen Landwasserviadukt. Der Weltrekord war vollbracht – 25 Capricornzüge, 100 Wagen, 1910 Meter lang, fast 3000 Tonnen schwer mit 8500 Sitzplätzen und 35`000 PS fährt über den bekanntesten Eisenbahnviadukt der Welt – ein fast 4 min dauerndes Schauspiel, dass sich mit Worten kaum mehr beschreiben lässt ein, Bild dass für sich selber redet.